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Mein Seufzen ist dir nicht verborgen Predigt zu Ps 38,10 von Christoph Maser Der Gott, vor dem ich seufzen kann. Mein Gott, vor dir fühle ich mich wie Donald Duck … du weißt schon, die Ente in den Comics. Da steht in der Sprechblase über ihm nur dick SEUFZ. Und alle, die es lesen, wissen, was in dem armen Erpel los ist. Vor dir bin ich die Ente. Du kennst alle meine Seufzer. Und kannst jeden richtig einordnen. Du bist ja bei jedem mit dabei gewesen. Mein vielfältiges Seufzen Bei den genervten Seufzern, … am Ende eines Tages, wenn die Kinder nur noch ins Bett sollten, aber stattdessen tanzen. Wenn das Tagwerk nicht vollbracht ist, aber die Batterien leer sind. Wenn die Symphonie meiner Liebe durch kleine Misstöne in Schiefklang kommt. Bei den traurigen Seufzern, … wenn ich Abschied nehme von der Vergangenheit, aber in der Gegenwart noch nicht angekommen bin. Wenn ich nicht Teil des Lebens sein darf, wie ich gerne wäre, sondern nur gerade so geduldeter Zuschauer. Bei den resignierten Seufzern, … wenn ihre Pubertät und meine Vernunft kollidieren … oder manchmal auch ihre Pubertät und mein Dickschädel ohne jede Vernunft … Oder wenn auch das hundertste Mal verhallt, dass 1000 Gramm ein Kilogramm sind und wie viel Gramm denn dann ½ Kilo wären. Bei den sehnsuchtsschweren Seufzern, … wenn ich einfach mal nur dasitzen und nichts tun will. Aber es klappt nicht, weil ich zu unruhig bin oder die Küche müffelt und morgen noch mehr müffeln wird. Wenn es selbst an der Klotüre klopft und ein Müsli oder Spielen bestellt wird. Oder wenn ich mir mal erträume, einfach nur wieder ein paar Tage mit meiner Frau zu haben. Was würden wir beim Vermissen der Kinder nur alles mit uns anzufangen wissen! Und bei den angstvollen Seufzern, … damals auf dem Klinikflur vor dem OP; auf der Kinderintensiv-Station mit dem dünnen Finger in meiner Hand und dem Kopfschütteln der Schwestern: Man wisse immer noch nichts aus dem OP, wie es der Frau geht. Ja, daran glaube ich. Du kennst alle meine Seufzer. Du bist ja stets mit dabei. Auch bei jedem wohligen Seufzer, bei den Seufzern der Zufriedenheit, den Seufzern der Erleichterung. Gerade seufze ich übrigens wieder… dieses Mal wegen deines Worts. Im Psalm 38 heißt es: Mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Darüber soll ich eine Predigt halten. Aber was soll ich denn sagen? Der Vers braucht keine Predigt, finde ich. Er erklärt sich selbst. Für mich ist er ein Glaubensbekenntnis: Gott sei Dank, du hörst mein Seufzen. Seufzen als Durchlüften der Seele Ich mache mich auf in die Untiefen des hebräischen Textes. Dort stoße ich auf einen Gedanken, der den Text für mich anders öffnet. Denn „Mein Seufzen ist dir nicht verborgen“ kann ich im Hebräischen Originaltext auch übersetzen als „Mein Seufzen verbirgt sich nicht vor dir“ (Nifal von SaChaR). Wenn ich den Vers so lese, dann verändert er sich. Mein Seufzen wird zum Handelnden. Es entschließt sich aus freien Stücken, dass es sich vor dir nicht verstecken will. Du sollst es hören. Jeden einzelnen Seufzer. Jedes Mal. Von vielen meiner Seufzer kann ich sagen, dass sie eigentlich nicht gehört werden sollten. Sie stehen aber im Raum. Menschen hören sie. Fragen nach. Machen sich Sorgen. Nehmen Anteil. Aber Fragen wiegele ich ab, Sorgen bügele ich glatt, und Anteilnahme lächele ich mit einem kurzen Spruch beiseite. „Kann soweit nicht klagen. Geht im Rahmen des Erwartbaren gut.“ „Wenig Schlaf, der Kleine ist halt krank…“ „Wird Zeit für die Frührente!“ lach Warum eigentlich? Warum mache ich das so? Warum können dem Seufzer nicht einige Worte folgen? Warum kann ich nicht sagen, was mich beschäftigt, wo es hakt, warum ich seufze? Das wäre so viel besser. Mir ist ein Sprichwort begegnet, dass das Seufzen als Durchlüften der Seele bezeichnet. Fenster aufstoßen, Mief rauslassen, frische Luft reinlassen. Seele sauber. Jeder weiß, dass Lüften seine Zeit braucht. Selbst schnelles Stoßlüften braucht seine Zeit. Aber ich – ich seufze – und mache das gerade geöffnete Seufz-Fenster sofort wieder zu. Da hat die Seele keine Zeit zum Durchlüften. Der Seelen-Mief bleibt drin. Mein Seufzen ist klug Anders ist es vor dir, Gott: Vor dir muss ich mich nicht verstellen. Muss nicht den Schein wahren, groß, stark und unbeugsam zu sein. Nicht mein Innerstes schützen, in das ich viele Menschen nicht blicken lassen möchte. Vor dir ist mein Seufzen klug. Es entzieht sich meiner Kontrolle und öffnet sich dir. Es weiß besser als ich: Abwiegeln, glattbügeln und weglächeln ist unnötig. Ausweichen ist unsinnig. Es bleibt dir nicht verborgen. Also verbirgt es sich nicht vor dir. Es kommt zu dir. Wo soll der Seufzer denn sonst auch hin mit dem ganzen Mief, den er aus meiner Seele trägt, wenn nicht zu dir, Herr? Mein Seufzen ist klüger als ich. Seufzen gegen den Platten in der Lunge Zwölf Mal in der Stunde seufzen wir. Oft unbewusst. Manchmal zum Spannungsabbau. Oder um Gefühle auszudrücken. Wie genau das mit dem Seufzen funktioniert, weiß noch niemand. Zwei winzige Neuronen-Anordnungen bei unserem Atemzentrum spielen wohl die entscheidende Rolle. Warum wir Seufzen, weiß die Wissenschaft inzwischen. Weil wir ohne Seufzen sterben würden. In unserer Lunge gibt es unzählige Lungenbläschen, mit denen wir den Sauerstoff aufnehmen. Doch die neigen dazu, einfach zusammen zu fallen. Das Ganze erinnert mich dabei irgendwie an Luftpolsterfolie. Würden zu viele Lungenbläschen kollabieren, würden wir nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen und ersticken. Seufzen bläst diese Lungenbläschen wieder auf. Ohne Seufzen hätte das Organ, das uns mit Sauerstoff versorgt, einen Platten. Und uns würde die Luft ausgehen. Man ist sich so sicher damit, dass man bei künstlicher Beatmung – z.B. bei Corona-Patienten - inzwischen extra Seufzer in die Beatmungsmaschinerie einbaut. Dein Odem, mein Seufzen Seufzen spendet Leben. Es öffnet meine Seele vor dir; bringt mich näher zu dir. Ich muss an den zweiten Schöpfungsbericht denken. Als du dem Menschen deinen Atem eingegeben und aus Lehm Leben geschaffen hast (1. Mose 2,7). Nefesch heißt dieses Wort im Hebräischen. Darüber habe ich viel gelernt. Nefesch, die lebensschöpfende Kraft, die in der Bibel immer wieder ein Thema ist. Nefesch, der Odem, der dich mit deiner Schöpfung verbunden hat und die Verbindung hält. Ohne deinen Odem gäbe es mein Leben nicht. Ohne mein Seufzen auch nicht. Ohne deinen Atem wäre ich nicht mit dir verbunden. Ohne mein Seufzen würde ich mich noch schwerer tun, unmittelbar in deine Nähe zu kommen. Du, mein Gott, weißt, wie wichtig es ist: Deine Nähe. Und mein Seufzen. Ach. SEUFZ. Amen